Österreich drängt auf Sanktionsausnahme für Raiffeisen – EU ringt um Strabag-Aktien im Wert von rund zwei Milliarden Euro

Österreich drängt in Brüssel auf eine Ausnahmeregel im 19. Sanktionspaket: Eingefrorene Strabag-Anteile, die Oleg Deripaska zugerechnet werden, sollen zugunsten der RBI freigegeben werden. Mehrere EU-Länder warnen vor einem gefährlichen Präzedenzfall; die RBI-Aktie legt zu.

Anja Amend

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Anja Amend

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4.10.25

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14:27

Uhr

Österreich drängt auf Sanktionsausnahme für Raiffeisen – EU ringt um Strabag-Aktien im Wert von rund zwei Milliarden Euro

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Wien treibt in Brüssel eine umstrittene Klausel voran, die der Raiffeisen Bank International (RBI) eine Entschädigung für ein russisches Milliardenurteil ermöglichen soll. Kern der Debatte ist die Freigabe eingefrorener Anteile am Baukonzern Strabag, die Oleg Deripaska zugerechnet werden und seit 2022 EU-Sanktionen unterliegen.

Nach übereinstimmenden Medienberichten der Nachrichtenagentur Reuters drängt Österreich darauf, die Regelung in das 19. EU-Sanktionspaket aufzunehmen; mehrere Mitgliedstaaten sehen darin jedoch ein gefährliches Präjudiz. Die EU-Kommission verweist auf laufende Beratungen, während Raiffeisen und Wien zunächst keine Stellungnahmen abgegeben haben.

Der Fall: Russisches Urteil, europäische Sperre

Auslöser des Vorstoßes ist ein Urteil eines russischen Gerichts, das Raiffeisen nach einer Klage aus dem Umfeld von Deripaskas früherer Firma Rasperia zu einer Zahlung von rund zwei Milliarden Euro verpflichtet und der Bank zugleich die Übernahme der – in der EU eingefrorenen – Strabag-Anteile in Aussicht gestellt hatte.

Die gewünschte Freigabe beträfe Anteile im Marktwert von etwa zwei Milliarden Euro. Befürworter argumentieren, man verhindere so eine doppelte Belastung und reguliere einen Sonderfall; Kritiker warnen, die EU würde Urteile russischer Gerichte faktisch adeln und Nachahmungseffekte provozieren. „Wenn wir diesen Weg einschlagen, könnten wir am Ende ziemlich viele russische Vermögenswerte freigeben, und ich glaube nicht, dass das das Ziel ist“, zitiert Reuters einen EU-Diplomaten.

Brisanz für den Finanzplatz – und für Raiffeisens Russland-Dilemma

RBI ist die größte westliche Bank, die weiterhin Geschäft in Russland unterhält – unter anderem als Transmissionsriemen für Energie- und Zahlungsströme. Mehrere Anläufe zum Rückzug oder zur Veräußerung der Tochter scheiterten jüngst erneut. Die Aussicht auf eine EU-Lösung über die Strabag-Anteile ließ die RBI-Aktie am Freitag deutlich zulegen.

Gleichwohl bleibt der Weg unsicher: Das 19. Sanktionspaket muss im Kreis der Mitgliedstaaten einstimmig verabschiedet werden, und die Skepsis ist ausgeprägt. Auch parallel verhandelte Elemente – etwa Energie- und Rohstoffbeschränkungen – erhöhen die politische Fallhöhe der gesamten Vorlage.

Einordnung: Ein Einzelfall mit europäischer Sprengkraft

Die Debatte geht über einen österreichischen Sonderfall hinaus. Sie berührt Grundfragen der Sanktionsarchitektur: Darf eine Entschädigung über die Freigabe eingefrorener Vermögenswerte laufen, ohne das Sanktionsregime auszuhöhlen? Wie verhindert man, dass russische Gerichte westliche Unternehmen per Urteilen in Geiselhaft nehmen und die EU anschließend unter Druck gerät, Sanktionen selektiv zu lockern? Mehrere Regierungen sehen die rote Linie überschritten, sollte Brüssel ausgerechnet im Kontext eines umstrittenen Moskauer Urteils eine Ausnahme schaffen. Dass die EU das Thema überhaupt prüft, zeigt indes, wie komplex die Wechselwirkungen aus Sanktionen, Gegenschritten und offenen Engagements westlicher Unternehmen im Russland-Geschäft geworden sind.

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